Der größte Büchermarktplatz der Welt

Frankfurt am Main, 12.10.2018
120 kleine Besprechungstische statt großflächiger Buchpräsentationen – für die englischsprachigen Verlage von Penguin Random House am Gemeinschaftsstand in der Halle 6.2 ist die Frankfurter Buchmesse der weltweit wichtigste Handelsplatz für Lizenzrechte. Für die 224 angereisten Kolleginnen und Kollegen ist die Messe auch das größte „Familientreffen“ des Jahres.

Der Unterschied könnte größer kaum sein: Am Gemeinschaftsstand der deutschen Verlage der Verlagsgruppe Random House in der Halle 3.0 der Frankfurter Buchmesse drängen sich ab dem ersten Tag Autoren und Journalisten, Buchhändler und Jugendgruppen zwischen den Stapeln ausgestellter Neuerscheinungen und aktueller Bestseller. Hier ist es laut und geschäftig, bekannte Autorinnen und Autoren werden vor laufender Kamera interviewt, an vielen Orten in der Halle gibt es Lesungen, Live-Musik und Diskussionsrunden. Ganz anders dagegen das Bild in der internationalen Halle 6.2 am Gemeinschaftstand der englischsprachigen Verlage von Penguin Random House. Hier ist es mindestens ebenso geschäftig und laut, doch die Fachbesucher im dunklen Anzug oder Business-Kostüm sind klar in der Überzahl, die Atmosphäre ist hochkonzentriert und geschäftsmäßig. Denn anders als für die deutschen Verlage ist die wichtigste Buchmesse der Welt für die Kolleginnen und Kollegen aus der englischsprachigen Welt keine Publikumsmesse. Sie haben auch keine Autoren mitgebracht. Für sie ist Frankfurt vor allem eines: der mit Abstand wichtigste Marktplatz der Welt für den internationalen Absatz ihrer Bücher und den Handel mit Übersetzungsrechten. Zum einen verkaufen die Verlage hier englischsprachige Ausgaben ihrer Titel in andere Länder, in denen es einen Markt dafür gibt. Zum anderen verkaufen sie Übersetzungsrechte beispielsweise an Verlage in Frankreich, Deutschland oder Italien. 

Allein aus diesem Grund baut Penguin Random House Jahr für Jahr einen der größten Stände in der internationalen Halle 6.2. auf. Und vor allem aus diesem Grund sind die Verlage der größten englischsprachigen Buchverlagsgruppe mit nicht weniger als 224 Kolleginnen und Kollegen aus allen Teilen der Welt nach Frankfurt gekommen. Hier treffen sie an insgesamt 120 kleinen Tischen im Halbstundentakt Verleger, Verlagsmitarbeiter und Literaturagenten aus der ganzen Welt, die sich für die zahlreichen Bestseller und Neuheiten von Penguin Random House interessieren. Und wenn sie gerade einmal nicht im Verkaufsgespräch sind, dann nutzen sie bei diesem größten „Familientreffen“ des Jahres die Gelegenheit, um sich mit Kollegen aus anderen Penguin-Random-House-Verlagen auszutauschen, mit denen sie normalerweise nur am Telefon Kontakt haben. 

Nicht nur Michelle Obamas Memoiren mit Bestsellerpotenzial

Markus Dohle
Markus Dohle
Nicht nur so gut wie alle Verleger von Penguin Random House weltweit sind nach Frankfurt gekommen, sondern natürlich auch Markus Dohle, Chef der Bertelsmann-Buchsparte. Er zog am gestrigen Donnerstagabend am internationalen Gemeinschaftsstand während eines kleinen Empfangs für seine Penguin-Random-House-Kollegen ein sehr positives Fazit der ersten Messetage: „Die Stimmung hier ist gut, vorwärtsgewandt“, so Dohle. „Das Digitalthema, das die Buchmesse ja wenigstens ein Jahrzehnt lang beherrscht hat, ist abgehandelt, mit einer Ausnahme: dem Audio-Format, dass ja geradezu durch die Decke geht und sowohl lokal wie international zweistellig wächst.“ Ansonsten sei die Angst vor dem digitalen Umbruch gewichen, was der anhaltenden Stärke des gedruckten Buches zu verdanken sei. Heute liege das Verhältnis im Verkauf zwischen gedruckten Büchern und E-Books bei 80 zu 20 Prozent. Vor zehn Jahren hätten alle darauf gewettet, dass das Verhältnis bis heute genau umgekehrt sein würde. „Das Format der Stunde ist eben nicht das E-Book, sondern das Audio-Format, das weltweit wächst“, betont Markus Dohle. Aber auch beim gedruckten Buch blickt Dohle mit viel Optimismus auf das kommende Weihnachtsgeschäft. Die Verlage von Penguin Random House aus aller Welt seien mit tollen, breit aufgefächerten Herbstprogrammen nach Frankfurt gekommen. 

Markus Dohle
Markus Dohle
Doch wer von den vielen Fachbesuchern aus aller Welt, die den Penguin-Random-House-Gemeinschaftsstand besuchen, sich erst jetzt für einen der sicherlich größten Bestseller des kommenden Weihnachtsgeschäfts interessiert, der dürfte wohl zu spät kommen. „Becoming“, die mit Spannung erwarteten Memoiren von Michelle Obama, die Penguin Random House in all seinen Märkten zeitgleich am 13. November veröffentlicht, werden zwar groß am Stand plakatiert, doch die Lizenzrechte am Werk der ehemaligen First Lady der USA sind für die allermeisten Länder längst vergeben. „Tatsächlich haben wir kurz vor der Buchmesse noch die Rechte nach Rumänien vergeben, aber da sind nun wirklich nicht mehr viele noch nicht verkaufte Länder übrig“, sagt David Drake, Deputy Publisher der Crown Publishing Group, die „Becoming“ in den USA herausgeben wird. Für Drake, der sich normalerweise in Frankfurt mit vielen Titeln, Trends und Autoren befasst, gibt es in diesem Jahr kaum ein anderes Thema als Michelle Obamas Memoiren. 

„Becoming“ ist natürlich nicht der einzige Titel mit Bestsellerpotenzial, den Penguin Random House US mit nach Frankfurt gebracht hat. Da wäre etwa „The Old Drift“ von Namwali Serpell (Crown), eine faszinierende Mischung aus Historienroman, Familiensaga, Liebesgeschichte und Science-Fiction, die über mehrere Generationen hinweg in Sambia spielt. Fans von Fantasy-Romantik kommen mit „Time’s Convert“ von Deborah Harkness (Viking) auf ihre Kosten, Autorin der erfolgreichen „All Souls“-Trilogie. 

Ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema adressiert die Schriftstellerin und Feministin Chimamanda Ngozi Adichie, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzt. Vor allem vor dem Hintergrund der weltweit anhaltenden #MeToo-Debatte dürften ihre bei Anchor publizierten Titel am Stand für Aufmerksamkeit sorgen. Im Crown-Sachbuch „The Greenprint“ zeigt Marco Borges, wie eine auf Pflanzen basierende Ernährung das allgemeine Wohlbefinden verbessert, beim Abnehmen hilft und obendrein zum Klimaschutz beiträgt. Warum in den „unendlichen Spielen“ von Politik und Wirtschaft nur wenige Erfolg haben und viele nicht, erklärt Simon Sinek in „The Infinite Game“ (Penguin). 

Messe ist wie eine Marktforschungsgruppe

Im Bereich Kinder- und Jugendbücher verspricht „How to Survive in a Stranger Things World“ Mystery-Unterhaltung für Leser ab zehn Jahren (Random House Children’s Books). Der Titel von Matthew J. Gilbert basiert auf der Netflix-Erfolgsserie „Stranger Things“. Spannende Science-Fiction für Heranwachsende bietet „When the Sky Fell on Splendor“ von Emily Henry (Penguin Young Readers). An Mädchen im Teenager-Alter richtet sich „Lovely War“ (Viking Children’s Books). Die Geschichte von Julie Berry zeigt, dass Liebe stärker ist als jeder Krieg. Eine humorvolle Reise ins Mittelalter für Acht- bis Zwölfjährige schildert „Max and the Midnights“ von Lincoln Peirce (Crown Books for Young Readers).

Madeline McIntosh
Madeline McIntosh
Angeführt wird die Delegation der Kolleginnen und Kollegen von Penguin Random House U.S. von Madeline McIntosh. Sie kennt die Frankfurter Buchmesse seit vielen Jahren. In diesem Jahr ist sie allerdings erstmals in ihrer Rolle als CEO von Penguin Random House US. dabei. „Kurz nach so einer Veränderung der eigenen Position ist es großartig, hierherzukommen“, erklärt McIntosh im Gespräch mit dem BENET. „Die Messe ist eine Art Marktforschungsgruppe – ich treffe hier all die Literaturagenten und internationalen Partner, mit denen wir zu tun haben, um herauszufinden, wie sie über den Buchmarkt, über Autoren und Bücher denken.“ Und natürlich, betont McIntosh, wolle sie mit diesen Gesprächen sicherstellen, dass Penguin Random House US. der bestmögliche Partner für die Genannten sei. Insbesondere mit den vielen Partnerverlagen in Großbritannien – sowohl Verlage von Penguin Random House als auch andere – sei sie in engem Kontakt, da diese äußerst wichtig für das Geschäft der US-Verlagsgruppe seien. Einer der großen Trends auf dem US-Buchmarkt momentan, so Madeline McIntosh weiter, sei eine „Flutwelle“ von politischen Titeln. „Das ist ungewöhnlich für den US-Markt. Die meisten Verleger sehen dies als kurzfristige Möglichkeit für gute Geschäfte, sind aber gleichzeitig überzeugt, dass wir längerfristig nach solchen Büchern Ausschau halten müssen, die die Leser als Abwechslung vom auf Dauer doch sehr anstrengenden Thema Politik empfinden.“ 

Trend zu Sachbüchern

Tom Weldon
Tom Weldon
Auch für die Kollegen von Penguin Random House UK ist Frankfurt als Treffpunkt von zentraler Bedeutung. „35 Prozent unseres Umsatzes erzielen wir mit dem Verkauf unserer Bücher in ausländischen Märkten“, sagt Tom Weldon, CEO von Penguin Random House UK im Gespräch mit dem BENET am Gemeinschaftsstand. „Messen wie Frankfurt sind für uns unglaublich wichtig, um Kunden aus der ganzen Welt zu treffen – von China bis Frankreich.“ Die Buchmesse sei darüber hinaus eine tolle Gelegenheit, Penguin-Random-House-Kollegen aus aller Welt zu treffen. „Wir sind eine weltweite Verlagsgruppe, und es gibt einfach keinen Ersatz für die Begegnung von Mensch zu Mensch, um uns über unsere großartigen Bücher auszutauschen, um verschiedene Themen zu besprechen oder auch um Ratschläge einzuholen“, so Weldon weiter. Großartige Bücher, das sind für den CEO von Penguin Random House UK beispielsweise die kommenden Memoiren des US-Schauspielers Will Smith, die sich Penguin Random House kurz vor der Buchmesse für die USA und Großbritannien gesichert hat. 

Ähnlich wie die US-Kollegen sieht Weldon auch für Großbritannien einen starken Trend hin zu Sachbüchern, die anspruchsvolle und drängende Themen der Zeit behandeln. Dieser Trend drücke sich auch in stark erhöhten Verkaufszahlen solcher Titel aus. „Wir leben in ungewissen Zeiten, und das Publikum wendet sich verstärkt Büchern und Autoren zu, die ihm dabei helfen sollen, sich in dieser ungewissen Welt zurechtzufinden“, sagt Tom Weldon. Ein sehr gutes Beispiel dafür sei der Erfolg des Sachbuchs „Sapiens“ des Autors Yuval Noah Harari, dessen neues Werk „21 Lessons for the 21st Century“ Penguin Random House UK ebenfalls mit nach Frankfurt gebracht hatte. „Sapiens“ hat sich weltweit bis heute bereits zwölf Millionen Mal verkauft. 

Im weiteren Aufgebot der Kollegen von Penguin Random House UK auf der Buchmesse findet sich beispielsweise die Lebensgeschichte der Rock’n’Roll-Königin Tina Turner, die unter dem Titel „My Love Story“ bei Cornerstone erscheint. Gewohnt packende Action-Kost liefert Lee Child mit „Past Tense“ (Transworld), dem neuen Abenteuer seines Protagonisten Jack Reacher. Subtiler und zugleich mysteriöser geht es hingegen in „Nine Perfect Strangers“ zu (Michael Joseph), dem neuen Thriller der australischen Bestsellerautorin Liane Moriarty. Geschichte und Fiktion mischt Haruki Murakami in „Killing Commendatore“ (Vintage). Der Roman des japanischen Autors von 2017, ein surrealistisches Abenteuer rund um Liebe, Einsamkeit, Krieg und Kunst erscheint nun erstmals auf Englisch. Dass Menschen weltweit trotz unterschiedlicher Religionen im Kern an dieselben Dinge glauben, beschreibt Neil MacGregor im Sachbuch „Living with the Gods“ (Penguin Press). Appetit auf einfache aber schmackhafte Küche macht „Simple“ (Ebury), das neue Kochbuch des Londoner Starkochs Yotam Ottolenghi. Unter den vielen Kinder- und Jugendbüchern sticht die Bilderbuchausgabe von Charles Darwins bahnbrechendem Werk „On the Origin of Species“ (Puffin) hervor, in dem die Molekularbiologin und Illustratorin Sabina Radeva Kindern die Evolutionstheorie verständlich machen möchte. 

Ausnahmestellung der Frankfurter Buchmesse

Ian Hudson
Ian Hudson
Der britische Schwesterverlag DK hat ebenfalls seine Neuheiten mit nach Frankfurt gebracht – und das bezieht sich nicht nur auf die Titel, sondern auch auf die Gestaltung der großformatigen Wissensbücher. „Wir zeigen hier unser neues Buchdesign, das neue DK sozusagen“, sagt Ian Hudson, CEO der weltweit tätigen Verlagsgruppe mit Sitz in London. Das neue Design, das sind Bücher, in denen Fotos eine noch größere Rolle spielen als bisher schon, die Fotos und Illustrationen kombinieren, mehr Farbe im Hintergrund einsetzen und ganz allgemein Fakten etwas erzählerischer vermitteln als bislang. „Das sieht einfach frischer aus, neu, aufregend und interessant“, meint Ian Hudson. Mit dem neuen Design ergänze DK seine bisherige Buchgestaltung, die auch weiterhin ihre Berechtigung und ihre Zielgruppen behalten werde. Als Beispiele für das neue Design präsentierte Hudson die neuen Wissens-Bildbände „Animals“ und „Flora“. 

Ian Hudson betont ebenfalls die Ausnahmestellung der Frankfurter Buchmesse: „Frankfurt ist für uns von fundamentaler Bedeutung“, sagt der DK-CEO, da DK seine Bücher in zahlreichen Sprachen rund um den Globus verkaufe. „Wir sind ein weltweites Unternehmen – hier treffen wir viele unserer Kunden, und hier vereinbaren wir diese Deals.“ Wie international DK ist, zeigt ein Blick auf die Umsatzverteilung: „DK macht nur 17 Prozent seines Umsatzes in Großbritannien“, so Hudson, „unser größter Markt ist Nordamerika mit 45 Prozent, gefolgt von Deutschland und dann kommt schon China, das ist ein großartiger Markt für DK-Bücher.“ 

Sandra Monteiro
Sandra Monteiro
Während des Interviews blickt sich Ian Hudson am Gemeinschaftsstand um und zeigt auf benachbarte Tische, an denen DK-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Verkaufsgespräche vertieft sind: „Hier sehe ich Kollegen aus Osteuropa, die an osteuropäische Verlage verkaufen, da in der Ecke sind Kollegen aus Korea, die an koreanische Kunden verkaufen, und hier sehe ich Kollegen aus China, die gerade mit Kunden aus Singapur verhandeln“, erläutert Ian Hudson. Eine der DK-Kolleginnen aus dem Bereich International Publishing & Licensing, auf die Hudson zeigt, ist Sandra Monteiro. Zusammen mit einer Kollegin kümmert sie sich um den portugiesischen und den brasilianischen Markt. Bis zum Ende der Messe, so schätzt Sandra Monteiro, wird sie mit rund 30 portugiesischsprachigen DK-Kunden gesprochen haben. „Normalerweise kommen etwa die Hälfte unserer Kunden aus Portugal, die andere Hälfte aus Brasilien“, erklärt sie. „In diesem Jahr haben sich allerdings wegen der schwierigen ökonomischen Lage und der Präsidentschaftswahl etwas weniger Besucher aus Brasilien angesagt.“ 

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